Nico´s Rettung

Es war am Freitag, den 19. Juli 2002. Halb Deutschland war überschwemmt. Unsere Weide in der Samtge- meinde Fredenbeck im Landkreis Stade, Niedersachsen allerdings auch!

 

Die Weide...

 

Wir haben ca. 4 ha Weidefläche, die in Fredenbeck-Schwinge an dem Fluss Schwinge liegt (fließt in die Elbe; an der Stelle ca. 3m breit/ca. 1m tief) gepachtet. Die Weide ist in mehrere Weideabschnitte aufge-teilt. Zwei liegen nebeneinander direkt an der Schwinge und sind fest eingezäunt. Davor sind links einmal ca. 1 ha (dort standen die Pferde) und daneben noch einmal ungefähr 0,5 ha mit Weidezaunpfählen und E-Band abgetrennt. Danach kommt der Rest der Weide, die ab da etwas bergauf geht, mit einem Weg durch einen Wald, der nach oben zu einem Landwirtschaftsweg führt (siehe Zeichnung am Ende dieser Geschichte).

 

... steht unter Wasser!

 

Am Donnerstagabend gegen 18:00 Uhr war ich auf der Weide und habe nach den Pferden Wiebke und Nico gesehen. Da war die Weide bis zum festen Zaun, unter Wasser. Ich machte mir weiter keine Sorgen, denn ich dachte nicht im Traum daran, dass das Wasser noch viel weiter steigt.

 

Hätte ich gewusst, was passiert ...

 

Freitagvormittag gegen 10:00 Uhr war Ulli nach den Pferden sehen und bekam einen großen Schreck:

 

Wiebke und Nico standen fast bis zum Bauch im Wasser (während ich ahnungslos in Hamburg im Büro saß)! Was also tun? Ulli beschloss, den Zaun des kleinen Stücks abzubauen und auf dem höheren Stück neu aufzustellen. Da das Wasser jedoch zu hoch war, um zu Fuß an die Weidepfähle zu kommen, fuhr er nach Hause und holte mit dem Pferdehänger sein Beiboot. Mit dem Beiboot wollte er dann zum Zaun rudern und ihn abbauen. Zurück auf der Weide sperrte er erst einmal den Weg mit E-Band ab und wollte dann die Pferde aus dem Wasser holen und sie so lange laufen lassen, bis er den Zaun umgebaut hatte.

 

Doch es kam alles anders...

 

Rettungsaktion

 

Ulli versuchte, die Pferde von dem überschwemmten Weidestück zu locken. Irgendwie wollten sie aber nicht. Ulli öffnete den Zaun Stück für Stück, in der Hoffnung, dass sie rausliefen, wenn die Öffnung groß genug war. Erst als Ulli die Hälfte des Zaunes geöffnet hatte, setzten sie sich in Bewegung und hatten es mit einem Mal sehr eilig. Am Ende dieses Stücks befindet sich ein ca. 50 cm breiter Graben, der jedoch nicht mehr zu sehen war. Beide gerieten irgendwie in diesen Graben. Wiebke konnte sich nach ein paar Versuchen befreien. Nico jedoch saß Mal fest. Er fing panisch an zu strampeln, kam jedoch nicht mehr vor und zurück. Er steckte bis zur Schulter im Graben fest und die Vorderbeine lagen zum Glück auf festem Boden (ich wage nicht daran zu denken, was passiert wäre, wenn nicht).

 

Da Ulli keine Halfter und auch keine Stricke zur Hand hatte, musste er noch einmal schnell nach Hause fahren und sie holen.

 

Auf dem Weg nach Hause traf er zufällig Iris, eine Bekannte von uns, die auch ein Pferd hat. Sie erklärte sich sofort bereit, zu helfen. Die musste aber erst noch ihre Gummistiefel holen. Sie verabredeten, dass er sie abholt, wenn er auf dem Rückweg ist.

 

Zwischenzeitlich war es ca. 13:00 Uhr und Ulli rief mich im Büro an, erzählte kurz, was passiert war und fragte, wo er die Halfter und die Stricke findet. Er meinte, dass ich nicht zu kommen bräuchte, da sie es auch ohne mich schaffen würden.

 

Wie man sich denken kann, war ich nach dem Telefonat sehr aufgewühlt und nervös, um nicht zu sagen fast in Panik. Da sitzt man nun ca. 70 km von zu Hause entfernt im Büro und muss arbeiten und dann so etwas! Was sollte ich nur tun? Ich fühlte mich so hilflos...

 

Mir fiel meine Freundin Julia ein, die ihre Pferde zu diesem Zeitpunkt auf einer Weide an einem Stall in Fredenbeck-Wedel stehen hatte. Ich hoffte, dass sie ihr Handy auf der Arbeit eingeschaltet hatte. Als ich sie erreichte, war ich echt froh. Es stellte sich heraus, dass sie frei hatte und zu Hause war. Ich erzählte ihr von dem ganzen Drama und sie sagte, dass sie sofort zur Weide zum Helfen fahren würde und die Pferde erst einmal zu ihr könnten. Sie wollte sich melden, um mich zu informieren, wie die Lage war.

 

Nach einer Ewigkeit – wie mir schien – meldete sich Julia. Sie meinte – nachdem alle versucht hatten, Nico aus dem Graben zu ziehen – da würde nur noch die Feuerwehr helfen können. Die wäre auch schon informiert. Ich bat sie, vorsichtshalber den Tierarzt anzurufen, was sie auch tat.

 

Da es inzwischen kurz vor 14:00 Uhr war, beschloss ich, Feierabend zu machen und zuzusehen, dass ich zu meinem Nico kam. Diese Zugfahrt war die längste meines Lebens! Ich musste mich zusammenreißen, dass ich nicht andauernd Ulli oder Julia anrief. Einmal konnte ich nicht anders und rief Julia an. Sie wimmelte mich auch gleich ab, da gerade alle zusammen mit der Feuerwehr versuchten, Nico aus dem Graben zu ziehen.

 

"Kleiner" Zwischenfall

 

Während der Rettungsaktion von Nico passierte folgender Zwischenfall:

 

Irgendeiner der Feuerwehrleute hatte das Band, das Ulli am Weg gespannt hatte, abgemacht. Warum weiß keiner. Die Gelegenheit nutzte Wiebke dazu abzuhauen und weg war sie. So ein Idiot! Er soll kurz vorher Wiebke noch gestreichelt haben! Oben am Landwirtschaftsweg standen noch ein paar Feuerwehrleute, die versuchten, Wiebke einzufangen. Es gelang ihnen jedoch leider nicht. Sie galoppierte links den Weg entlang und gelangte irgendwann auf die B 74. Diese raste sie in Richtung Bremervörde entlang.

 

Man sagte Ulli Bescheid, dass Wiebke weggelaufen sei. Da er bei der Rettungsaktion für Nico entbehrlich war, nahmen er und einige der Feuerwehrleute die Verfolgung auf. Während der Fahrt rief Ulli meine Be- kannte Ingrid an, die an der B 74 kurz vor Bremervörde wohnt und bereitete sie darauf vor, dass es sein könnte, dass Wiebke bei ihr vorbei gerannt kommt. Ingrid machte sich sofort auf den Weg. Sie und Ulli kamen gleichzeitig dort an, wo inzwischen jemand Wiebke eingefangen hatte. Was für ein Glück, es ist nichts passiert! Es wurde beschlossen, dass Ulli sich erst einmal um Nico kümmern sollte. Danach sollte er zurückkommen und Wiebke holen. Die Feuerwehr und Ingrid passten so lange auf Wiebke auf.

 

Erleichterung

 

Kurz nach 15:00 Uhr (ich saß noch im Zug) meldete sich Ulli und gab Entwarnung:

 

Nico war frei! Ich war so was von erleichtert, dass kann man kaum glauben. Passiert war ihm auch nichts. Der Tierarzt hat ihm vorsichtshalber Langzeitpenizillin und ein Mittel gegen Lungenentzündung gespritzt, da Nico fast zwei Stunden im Graben gesteckt hatte. Ulli hatte Nico zwischenzeitlich in den Stall gebracht und war auf dem Weg zu Wiebke. Ich bin dann dort hingefahren um zu helfen, falls Wiebke sich nicht ver- laden lässt.

 

Ende gut

 

Zu Hause angekommen, zog ich mich in Windeseile um. Bevor ich losfuhr, rief ich Ulli an, um zu hören, wie es aussieht. Er war gerade mit Wiebke auf dem Weg zum Stall. Das Verladen klappte eigentlich recht gut meinte er. Beim zweiten Anlauf wäre sie auf dem Hänger gewesen, nachdem sie beim ersten Mal aus- rutschte, sich erschrak und rückwärts wieder raussprang wäre. Dabei stürzte sie auf den Rücken. Zum Glück hatte sie sich nicht verletzt. Ich bräuchte also nicht zur B 74, sondern könne gleich zum Stall fahren. Darüber war ich sehr froh, denn ich wollte so schnell wie möglich zu meinem Nico und sehen, wie es ihm geht.

 

Als ich gerade im Stall angekommen war, kam auch schon Ulli mit Wiebke. Wir stellten sie neben Nico in die Box. Mein Dicker hatte sich anscheinend gut erholt, denn er wurde schon wieder frech. Und wie er aussah! Vom Schweif bis zum Widerrist bzw. zur Schulter war er schwarz wie die Nacht (so wie es aus- sah, steckte er ziemlich senkrecht im Graben)! Das bedeutete, wieder raus aus der Box und wieder Wasser, denn es war waschen angesagt. Ich hielt Nico fest, da er mich am besten kannte, denn bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, ob er sich das Abspritzen mit dem Schlauch gefallen lassen würde. Julia spritzte ihn mit dem Wasserschlauch vorsichtig ab und wusch ihn, bis sein Fell wieder sauber war. Julias Reitmädchen Sonja, hat seinen Schweif zwei Mal mit Shampoo gewaschen, damit er sauber wurde. Trotz des vielen Wassers der letzten Stunden muss ich sagen, dass sich Nico beim Waschen recht an- ständig verhielt. Er war nur ein wenig zappelig, aber das kennt man ja von ihm.

 

Nach der Waschaktion, wurden dann erst einmal die beiden Boxen eingestreut, da der Tierarzt gesagt hatte, dass beide Pferde vorsichtshalber zwei Tage im Stall bleiben sollten, falls es Komplikationen gibt.

 

Wir trieben zwei Ballen Heu auf, die ich jedoch nur mit einer Kletteraktion erreichen konnte, denn die Außenbox, in der das Heu lagerte, war ca. 30 cm hoch voll Wasser und ich musste an die obersten Ballen ran, da die trocken waren. Jeder bekam zur Nacht einen halben Ballen Heu. Sie stürzten sich auch sofort da drauf.

 

Julia, Sonja und ich blieben bis um 21:00 Uhr im Stall. Da es den Pferden bis dahin jedoch gut ging und sie sich wie sonst verhielten, beschlossen wir, dass sie nur diese eine Nacht im Stall bleiben und am nächsten Tag erst einmal auf die kleine Weide kommen. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag um die Mittagszeit. Ich wollte morgens noch vor dem Frühstück hinfahren und ihnen den Rest Heu geben.

 

Lustige Begebenheit während der Rettungsaktion

 

Iris, die Ulli ja unterwegs getroffen hatte, hatte ihren Hund Benny (eine mittelgroße Promenadenmisch- ung) mit. Sie erzählte mir, dass Benny, als sie zur Weide kamen und er Nico sah, sofort zu ihm lief und ihn mit der Nase anstieß und ihn anbellte, als ob er sagen wolle: "Nico, nun komm schon raus da!". Er wollte später sogar mit am Feuerwehrschlauch ziehen, den die Männer Nico umgelegt hatten. Aber dabei hätte er nur die Feuerwehr bei ihrer Arbeit gestört. Nico und der Hund kennen sich, da sie im letzten Winter in der Reithalle Fangen "gespielt" hatten.

 

Danke

 

Vor allem den Männern der Freiwilligen Feuerwehr Schwinge bin ich sehr dankbar, dass sie Nico aus dem Graben befreit haben, obwohl sie im Landkreis genug mit anderen wichtigen Dingen, die die Über- schwemmungen mit sich brachten, beschäftigt waren. Die Feuerwehrleute bekamen von mir als Danke- schön eine Kiste Bier und zwei Flaschen Korn.
Für diesen Feuerwehreinsatz brauchte ich nichts zu bezahlen, da er ein Katastropheneinsatz war.

 

Ein großes Dankeschön auch an Ulli, Iris mit Hund Benny, Julia und Sonja.

 

Zeichnung Weide